Radexpedition 2004 "Trans Himalaya"

Expeditionsbericht

 

Lhasa & Umgebung - "Drigung Till" - Himmelsbestattung in Tibet

Obwohl sich Lhasa seit unserem letzten Besuch sehr verändert hat, haben die uralten Tempelbezirke nichts von ihrer geheimnisvollen Atmosphäre verloren. Gemeinsam mit vielen tibetischen Pilgern laufen wir den Linkor (Umwandlungsgang um den mächtigen Potala - die Winteresidenz des Dalai Lama) entlang und drehen dabei tausende von Gebetsmühlen an, welche niemals richtig zum Stillstand kommen. Im mehr als 1.300 Jahre alten Jockhang Tempel am Palkor Platz tauchen wir gemeinsam mit unendlich vielen Pilgern in die Zeit von vergangenen Jahrhunderten ein. Unzählige Tibeter laufen endlos im Uhrzeigersinn um den riesigen Tempel und messen manchmal den Weg mit Ihrer Körperlänge aus. Wir werden einfach in diesem Strom der Menschenmasse mitgezogen und erleben die verschiedensten tibetischen Kulturgruppen mit ihren wunderbaren Trachten.

Schon lange beschäftigt uns ein sehr verschwiegenes Thema in Bezug auf Tibet. Auf dem weiten Weg nach Lhasa haben wir keine einzige Begräbnisstätte gesehen. Wir erfahren, dass hier in Tibet nur Schwerverbrecher nach Ihrem Tode unter der Erde beigesetzt werden. Seit über tausend Jahren wird für alle anderen Tibeter die Himmelsbestattung praktiziert. Nur 130 Km von Lhasa entfernt befindet sich das Kloster Drigung Till aus dem 12. Jahrhundert, welches auch heute noch solche außergewöhnlichen Zeremonien durchführt. Mit einem gemieteten Jeep machen wir uns auf, zu einem der allerheiligsten Plätze dieses Gebietes.

Ein seltsames, unbeschreibliches Gefühl geht uns durch den Magen. Im Morgengrauen erreichen wir die kleine Tempelstadt auf über 4.500 m, welche wie ein Adlerhorst am Berg hängt. Der Himmel ist mit bedrohlichen Wolken zugezogen und verstärkt noch die mystische Atmosphäre dieses tief religiösen Platzes. Die Mönche weisen uns den Weg hinauf zur Himmelbestattung, einige hundert Meter über dem Tempelkomplex. Wir durchschreiten ein spirituelles Tor des fast Unbegreiflichen. Der Bestattungsplatz Tenjag ist so hochgelegen, dass die Seelen der Toten nur einen kurzen Weg in den Himmel haben. Unzählige riesengroße Geier, die Himmelsboten der Bestattung, sitzen hier am steilen Berghang. Nach einigen Stunden des Wartens, beginnt eine der tiefeinschneidensten Erfahrungen, welche wir jemals erleben durften.

Einige Leute kommen vom Tempel hochgelaufen mit großen Säcken auf ihrem Rücken, welche fast nur aus Gebetsschals bestehen. Beim näheren Betrachten erkennen wir, es sind die Toten, die hier bestattet werden sollen. Ganz spezielle Mönche wiederum wetzen schwertgroße Messer an Schleifsteinen. Die Leichen werden von den Gebetsschals befreit und nackt auf ein Feld mit großen Steinen gelegt. Die Seele hat den Körper nach 48 Stunden Tot verlassen. Was hier noch liegt, ist nur die leblose Hülle des menschlichen Körpers, welche symbolisch in den Himmel folgen soll. Die riesigen Messer werden von den Mönchen an den Leichen angesetzt und in 10 Minuten sind 6 Leichen zerstückelt. Ungeduldig warten schon über 100 Geier am Bestattungsplatz auf ihre nächste Mahlzeit. Der unangenehme Gestank brennt sich in unser Gedächtnis und ist nicht wegzuwischen. Aus nächster Nähe erleben wir, wie sich die heiligen Geier über die zerteilten Leichname hermachen und innerhalb kürzester Zeit nichts als Knochen übrig lassen. Die auserwählten Mönche sammeln die Skelette ein und streuen Zampamehl darüber. Mit großen Steinhämmern werden nun die Knochen und Schädel zertrümmert, damit auch noch die letzten Reste von den Geiern verschlungen werden, denn es ist wichtig, dass alles vom leiblichen Körper verschwindet. Die Geier lassen sich später von der Thermik in die Lüfte tragen und somit wird auch der menschliche Körper in den Himmel befördert.

Für uns ist es ein fast unbegreifliches Ritual, welches seit über 1.000 Jahren in dieser Form zelebriert wird. Mit einem drückenden Gefühl im Bauch verlassen wir diesen Ort, welcher uns noch sehr lange beschäftigen wird. Denn von all den verschiedenen Bestattungsarten der unterschiedlichsten Kulturen unserer Erde, zählt diese sicherlich mit Abstand zu den außergewöhnlichsten. Die Himmelsbestattung unterstreicht mit ihrer Einmaligkeit die sagenumwobenen Geschichten des höchst gelegenen Landes unserer Erde - Tibet.

Am 14.07.2004 verlassen wir Lhasa und machen uns auf in Richtung Kashgar, dem nächsten großen Ziel unserer Expedition.

Gil & Peer

 

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