Neuguinea 2005 "Ausgesetzt"

Expeditionsbericht

Puncak Carstensz – der politisch schwierigste Berg der Welt

Um 5.00 Uhr, am 30.04.2005, stehen wir auf und vor unserer Hoteltür wartet schon der Rest des Expeditionsteams gespannt auf den geplanten Aufbruch in Richtung des höchsten Berges von Ozeanien. Der fahrbare Untersatz, welchen wir eigens für den heutigen ersten Tag gemietet haben, passt zu dieser außergewöhnlichen Expedition wie kein anderer. Nicht nur, dass alle 13 Teammitglieder plus Fahrer und dem gesamten Gepäck darin Platz finden, obendrein hängt dieser vierradangetriebene Monsterjeep auch noch wie ein Kaugummi an den steilsten Abschnitten des Weges ohne schlappzumachen. Auf den ersten Blick stecken wir nicht viel Vertrauen in diese überlaute Rostlaube, aber wir sind positiv überrascht von der Kraft und Ausdauer dieses Pistenpanzers. Auch wenn wir einige Male den Jeep aus dem tiefen Schlamm wieder ausbuddeln dürfen, ist dies angesichts der extrem schlechten Streckenbeschaffenheit kaum erwähnenswert. Hinten von der Ladefläche, wo alle unsere Träger sitzen, erklingen Gesänge über die bevorstehende Expedition. Wir fühlen uns wie richtige Forscher, welche Neuland betreten und erkunden, ohne zu wissen, welche Probleme und Gefahren vor ihnen liegen.

Nach über 6 Stunden Fahrt erreichen wir kurz vor Tiom den eigentlichen Startpunkt der Expedition. Am äußeren Ende des Baliemtales gelegen, hören hier die letzten befahrbaren Wege auf und man kommt nur noch zu Fuß vorwärts. Da sich hier jedoch der letzte indonesische Armeekontrollposten befindet, müssen wir äußerst vorsichtig sein, um nicht ein vorzeitiges Ende der Expedition zu riskieren. Wir haben zwar eine Genehmigung für das Baliemtal und angrenzende Gebiete, doch für die Regionen durch welche wir uns wagen werden erteilt die Armee aus Sicherheitsgründen keine Erlaubnis. Aus diesem Grunde laufen wir auf kleinen Wegen um Tiom herum. Wir verbringen die Nacht tiefer im Bergland, abgeschirmt von den Zugriffen des Militärs, welches sich fast nie weiter vorwagt. Denn nun betreten wir ein neues Territorium, das der OPM, der Freiheitskämpfer von Papua, welche sich seit vielen Jahren heftige Kämpfe mit dem indonesischen Militär, um das Völkerrecht im Jayawijaya Gebirge liefern. Wir haben schon einmal Bekanntschaft mit diesen primitiv bewaffneten, aber dennoch gefürchteten Kriegern des Hochlandes gemacht. Nur mit viel Glück entkamen wir zu unserer Expedition in Jahr 2002 einer längeren Geiselnahme und konnten mit Hilfe unseres Führers Jonas unsere Freigabe erwirken. Fordern wir dieses Mal nicht unnötig unser Schicksal heraus? Diese Gedanken schweifen uns öfters durch den Kopf, denn noch nie sind wir so weit durch die „Rote Sperrzone“ in Papua gelaufen. Um das Risiko jedoch auf ein Minimum zu dezimieren haben wir einen besonderen Träger dabei, sein Name ist John. Er hat nicht nur die Kontakte und Beziehungen, sondern war selbst ein Mitglied der OPM. Dieses Mal jedoch soll er als Dolmetscher und Vermittler fungieren, um klarzustellen, dass wir Bergsteiger sind und uns aus dem politischen Umfeld zwischen dem indonesischen Militär und den Freiheitskämpfern, als unparteiisch heraushalten. Wir haben nur einen Wunsch, in Frieden durch das traumhafte Bergland zu laufen, um mit fairen Mitteln den höchsten Berg von Ozeanien zu besteigen. Mit dem Wissen, dass die Einheimischen uns mit Verständnis unterstützen werden, begeben wir uns sozusagen, als Schafe in die Höhle des Löwen. Vor uns liegen 3 Tage Bangen, bis nach Piawagi, der Hochburg der OPM. Dort soll entschieden werden, ob wir die Erlaubnis der Einheimischen bekommen, ihr unberührtes Land zu durchqueren oder nicht. Diese schwere und unsichere Route ist für uns der einzige
Weg, an das Carstensz Massiv heran zu laufen. Da in der Region um Mulia zu dieser Zeit schwere Kämpfe stattfinden und das Militär einige Regionen sogar bombardiert hat, ist der leichtere Weg gesperrt. Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, über Timika kann man ebenfalls an den Berg gelangen, man muss jedoch bei der Freeport Miene eine Genehmigung beantragen, welche aber seit Jahren nicht mehr erteilt wurde. In diesem Falle würde man mit dem Hubschrauber hinaufgeflogen, um den Berg in nur 2 Tagen zu bezwingen. Ein Weg der für uns nicht in Frage kommt, haben wir doch bisher jeden Berg selbst bestiegen, ohne Hilfsmittel (By Fair Meaning).

Somit müssen wir halt in den sauren Apfel beißen und schwitzen bis zum Umfallen, genauso wie unsere treuen Träger, welche 280 Kg Gepäck, Tag ein - Tag aus, durch das schwierige Gelände tragen. Bald schon lassen wir die letzten Süßkartoffelfelder hinter uns und durchlaufen auf dem Weg zum nächsten Tal einen dichten Regenwaldgürtel. Vor uns liegt ein kleines Seitental und der obere Baliemfluss, welcher in einem Strudel in den Berg hineingezogen wird und plötzlich spurlos verschwindet, um später, fast 800 m tiefer, aus dem Berg wieder herauszukommen. So etwas sieht man nicht oft, ein ganzer Fluss, welcher in einem zum Teil noch unerforschten Höhlensystem verschwindet. Eine französische Expedition hat sich schon einmal in diese riesigen Höhlen gewagt und ihr Ende nicht finden können.

Am 2. Mai erreichen wir endlich Piawagi, wo wir für zwei Tage einen Zwischenstopp einlegen müssen. Hier bekommen wir dann von der OPM die Genehmigung zum Weiterlaufen und können das einheimische Leben der so entlegen lebenden Papuas filmen und dokumentieren. Wir werden mit offenen Armen aufgenommen und ganz im Gegensatz unserer Erwartungen, ist von Feindschaft und Kampf hier nichts zu spüren. Man zeigt uns, wo noch vor einem Jahr, für fast 10 Monate gekämpft wurde und welche Gebäude dabei im Kampf zerstört wurden. Uns ist unverständlich warum dabei ausgerechnet die Schule und das Krankenhaus verbrannt wurden, aber das ist wahrscheinlich ein Kampf den wir nicht verstehen werden, sieht man doch nur die ungleichen Gegner. Mit Pfeil und Bogen bewaffnete Einheimische gegen Maschinengewehre des Militärs. Ein politischer Kampf, um die Freiheit des eigenen Volkes.

Mit einem großen Essen aus dem Erdofen werden wir verabschiedet. Traditionell gekleidete Krieger sitzen gemeinsam mit uns in der Runde und essen Süßkartoffeln und Flusskrebse. Nun haben wir erstmal die Erlaubnis bis ins nächste Stammesgebiet zu laufen, wo wir erneut auf eine OPM Gruppe treffen müssen, welche über unseren Weiterweg entscheiden wird.

Die nächsten 4 Tage sind für alle extrem anstrengend, da wir zwar auf einer gigantischen Ebene unterwegs sind, aber diese von riesigen Sümpfen und Mooren überzogen ist. Immer wieder versinken wir fast bis zur Hüfte im Moorrast und müssen nach dem besten Weg schauen, um am günstigsten die Schwemmwiesen zu durchqueren. Schlafplätze finden wir nur dort, wo es wenigstens einigermaßen trocken ist und Einsamkeit haben wir hier mehr als genug. Aus dem Flugzeug sieht diese Märchenlandschaft so wunderschön aus, doch jetzt mittendrin können wir kaum fassen wo wir uns befinden. Deshalb müssen wir uns jeden Meter aufs Neue erkämpfen, doch dafür laufen wir durch Hochebenen und Regenwaldgebiete, in denen noch nie zuvor Weise gewesen sind.

Wieder einmal haben wir Erfolg und fangen große Krebse im Fluss, nur mit einem Wurm,welcher auf einem Grashalm aufgefädelt ist, doch der tägliche, eiskalte Regen beendet das Fangen abermals vorzeitig. Eigentlich sollte die trockenere Jahreszeit schon längst begonnen haben, aber es schüttet weiter, jeden Tag.

Als wir das nächste Stammesgebiet am Ende der langen Hochebene erreicht haben, treten wir in einem kleinen Dörfchen einem weiteren Führer der OPM gegenüber. Auch hier bekommen wir problemlos die Erlaubnis zum Weiterlaufen. Vor uns liegt ein knapp 4.000 m hoher Pass.

Unser Führer Jonas berichtet uns, dass weit hinter dem Pass die Stadt Ilaga liegen soll, der Ausgangspunkt zur Carstensz Pyramide. Schwitzend kämpfen wir uns die steilen und schmierigen Pfade empor. Manchmal werden wir von einem triefend nassen Mooswald verschluckt, aus welchem wir später wieder heraus kriechen. Die Sicht auf die umliegende, mächtige Bergwelt ist grandios. Auf dichten Moosmatten wanken wir von einem Tümpel zum nächsten, an dessen Ufern manchmal ganze Orchideenwiesen in voller Blüte stehen. Fast etagenförmig ziehen sich kleinere Ebenen die Bergwelt hinauf. Bald schon betrachten wir die Landschaft unter uns. Der Höhenmesser zeigt mittlerweile 3.500 m an, schlagartig erreichen wir eine Vegetationsgrenze und werden in der Zeit um 150. Mio. Jahre zurückkatapultiert. Die Landschaft wirkt auf unser Auge fast surreal, denn nur noch bis zu 10 m hohe Baumfarne gibt es hier oben, durchtränkt von kristallklaren Bächen, welche manchmal im sumpfigen Boden spurlos verschwinden und später urplötzlich wieder auftauchen. Als wir den 3.900 m hohen Pass endlich erreichen, hangeln sich dicke Wolkenfetzen von einer Bergspitze zur nächsten und es fängt an wie aus Eimern zu schütten. Unsere Träger sind noch immer nur mit kurzen Hosen und T-Shirts bekleidet, bei gerade mal 5 Grad Celsius. Die Situation gerät aus den Fugen. Schnell mahnen wir zum Weiterlaufen, um warm zu bleiben. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit versuchen wir alle weiter unten, in einem eiskalten, nicht enden wollenden Wolkenbruch, unser Lager aufzuschlagen. Das gesamte Trägerteam ist so ausgekühlt das Keiner auch nur einen Finger rührt. Alle Träger stehen apathisch im stechendkalten Wetter und starren vor sich hin, als wäre es ihre letzte Minute. Wir müssen regelrecht schreien, um die Meute in Gang zu setzen und endlich ein Lager aufzubauen. Nach einer weiteren Stunde stehen zum Glück alle um das kleine Feuer unter unserer großen Plane und wärmen sich.

Wir wissen, dass wir nicht direkt nach Ilaga absteigen können. Obwohl kein Weg existiert müssen wir einen großen Bogen drum herum laufen. Das Unterholz ist hier so dicht gewachsen, dass man sich schon auf den ersten hundert Metern verlaufen könnte. Wir treffen die Entscheidung uns trotzdem einen neuen Weg um Ilaga herum zu bahnen. Stolpernd und Krauchend kämpfen wir uns irgendwie vorwärts. So gut es geht bleiben wir in der Nähe der Berggrade und wagen uns nicht hinunter in die messerscharfen, zugewucherten, steilen Talfalten. Nachdem wir einen Tag lang unsere Fußstapfen, als erste Menschen, in diese weltentrückte Landschaft gespurt haben, treffen wir unverhofft auf einen kleinen Jägerpfad, welchem wir fortan folgen. Er zieht sich das Tal hinunter. Unser Herz klopft, denn wir kommen Ilaga immer näher und hier befinden sich auch wieder Militärkasernen.

Wir bleiben die Nacht versteckt in einer Schweinehütte. Jonas ist vorausgegangen, um die neuesten Informationen zur aktuellen Lage von seinem Schwager zu erfahren, welcher in Ilaga wohnt. In der kommenden Nacht wollen wir Ilaga umlaufen, um dann auf Heinrich Harrers Spuren zur legendären Carstensz Pyramide hinaufzusteigen. Nur noch 7 Tage Fußmarsch ist das Basislager im gelben Tal von uns entfernt.

Die ganze Nacht warten wir vergebens auf unseren Führer Jonas. Der Morgen graut und uns wird bewusst, da muss was schief gelaufen sein. Als Jonas dann endlich mit seinem Schwager am späten Vormittag zurückkehrt, schildert er uns sofort die Sachlage. Direkt oben am Berg soll sich ein neuer Militärkontrollposten befinden, welcher die gesamte Region am und um den Berg herum abriegelt. Dies hat auch mit der Gold- und Kupfermiene der Amerikaner zu tun, welche durchs Militär geschützt wird, so erfahren wir. Dort oben wird auf alles geschossen was sich bewegt, erklären uns Jonas und sein Schwager. Auch wissen wir, dass bereits vor nicht all zu langer Zeit 3 Schweizer am Berg erschossen wurden. Schweren Herzens, aber vernünftigerweise treffen wir gemeinsam die Entscheidung zum Abbruch der Carstensz Expedition 2005, am wohl schwierigsten Berg der Welt, jedenfalls im politischen Sinne. Wir alle haben Familien und wollen diese auch heil wieder sehen. Vielleicht ändert sich die Lage ja in den nächsten Jahren und es wird etwas sicherer als jetzt. Leider bekommt man diese ganzen Informationen eben nur direkt vor Ort, da sie nicht außer Landes dringen.

Mit einer ordentlichen Portion Unwohlsein steigen wir hinunter nach Ilaga und geraten sofort in den Strudel der Bürokratie und des Ausnahmezustandes hier in der „Roten Zone“. Sage und schreibe ganz Ilaga kommt herbeigelaufen, ca. 1.000 Papuas, als sie die zwei weisen Männer Peer & Gil erblicken. Wir werden von der Polizei, dem Militär und den örtlichen Behörden (Verwaltung) ausgequetscht woher wir denn kommen. Als sie hören, zu Fuß von Wamena, schlagen sie die Hände über den Köpfen zusammen. Zum Glück haben wir eine gültige Surat Jalan (Genehmigung) für Ilaga. Trotzdem werden wir vorübergehend festgehalten und müssen für die nächsten 3 Tage in der Polizeistation bleiben, in Schutzhaft so heißt es. Wir wollen hier natürlich so schnell es geht wieder raus. Der einzige Weg, per Flugzeug, welches selten kommt und das heißt Warten.

Am 4. Tag können wir die Polizei zum Glück überreden, in die örtliche Kirche umzuziehen, um hier auf den Rückflug nach Wamena zu warten. Ganze 5 Tage sind bereits vergangen, als früh morgens endlich Motorengräusche am Himmel ertönen. Schnell geht es hinauf zur Landepiste. Eine Fokker 24 schwebt ein und landet steil auf dem kurzen Landestreifen. Sie kommt von Nabire unten an der Küste und fliegt auch dahin zurück. Wir überlegen nicht lange und fliegen mit hinunter nach Nabire und sind somit endlich heraus aus der „Roten Sperrzone“.

Nach 2 Tagen Wartezeit in Nabire fliegen wir in die einzige Richtung weiter, auf die Koralleninsel Biak, vorgelagert vor Neuguinea im Pazifischen Ozean. Hier bleiben wir für 5 Tage, um die einzigartigen, paradiesischen Koralleninseln zu erkunden. Wir lassen uns auf einer einsamen Insel absetzen und erleben eine Robinsonade mit Buschbrot und selbst getauchten Austern, bei einem flammenden Sonnenuntergang. Aber schon bald geht es weiter, zurück nach Jayapura, denn von da aus soll es zurück nach Wamena gehen. Am 25. Mai 2005 erreichen wir endlich wieder Wamena im Baliemtal. Um hierher zurückzukommen, mussten wir 2.000 Kilometer fliegen und das nur in einer einzigen Inselregion. Jonas ist zum Glück auch da sowie unser gesamtes Gepäck. Er und alle Träger mussten noch 6 weitere Tage warten (insgesamt fast 2 Wochen), um nach Wamena zurückzufliegen.

Wir beschließen kurzer Hand eine zweite Expedition zu starten, dieses Mal ins nördliche Tiefland des großen Mambramoflusses. Die erste große Expedition, in dieses wenig erforschte Gebiet, war die Archbolt-Expedition in den 60zigern. Hier werden wir mit Steinzeitmenschen auf die Jagd gehen, um Krokodile, Wildschweine, Kasuarvögel oder Riesenschlangen für den Verzehr zu erbeuten. Wir werden tief im riesigen Regewaldgürtel wohl noch so manchen Herausforderungen begegnen.

Gil & Peer

Technische Daten des ersten Teils der Expedition zur Carstensz Pyramide (2005):
Führer: alter Freund Jonas Wenda – Lani tribe
Anzahl des Trägerteams: 11 Papuas
gesamtes Gepäck: ca. 280 Kilogramm
längster Abschnitt im Regen: 3 Tage
längste freihängende Brücke: 50 Meter
Abschnitt durch unbekanntes Gebiet:1 Tag
abwechslungsreichste Naturkost: gebackene Zikade

höchster erreichter Punkt: Pass vor Ilaga - 3.950 m Höhe
Längster Fußmarsch am Stück: ca. 18 Km – 10 Stunden
kürzester Fußmarsch am Stück: ca. 5 Km – 8 Stunden
kälteste Temperatur: ca. + 3 Grad Celsius und Regen
wärmste Temperatur: ca. + 28 Grad Celsius
Krankheiten: Zahninfektion eines Trägers - Behandlung: Aderlass mit Rasierklinge, ca. 1 bis
2 Liter Blut verloren

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